Healthcare – eine Chance für Antizykliker
Für Healthcare-Anleger verlief das Börsenjahr 2023 bisher enttäuschend. So liegt der MSCI World Healthcare Index, der massgebliche Aktienindex für die Branche, nur knapp über dem Kursniveau vom Jahresanfang. Im Vergleich dazu liegt der S&P 500 USD mit 17% im Plus. Diese Entwicklung ist zwar zu einem grossen Teil auf die Top-Performance von sieben Tech-Giganten zurückzuführen. Unbestritten ist aber, dass die meisten Investoren bei Healthcare-Unternehmen derzeit an der Seitenlinie stehen.
Nach unserer Einschätzung gibt es zwei Gründe für diese Entwicklung: Die mit der hohen Inflation einhergehenden Zinserhöhungen wirken sich vor allem auf die Bewertungen von Unternehmen aus, die noch keine Erträge erwirtschaften und auf Fremdkapital angewiesen sind. Betroffen sind vor allem Biotechunternehmen und Firmen, die technologische Anwendungen für die digitale Gesundheit entwickeln, zum Beispiel Sensoren oder Messgeräte. Weniger davon betroffen waren Mega Caps aus dem Pharmasektor, die ihrem defensiven Ruf gerecht wurden. Der zweite Grund ist psychologischer Natur. Der grosse Durchbruch bei den Impfstoffen gegen COVID-19 hat in der breiten Öffentlichkeit das Bewusstsein dafür geschärft, dass Biotechunternehmen mit neuen Therapien eine Schlüsselrolle bei der Lösung gesellschaftlicher Probleme spielen können. Die Kehrseite der Medaille ist, dass mit der Überwindung der Coronapandemie ein Grossteil der Investoren sich aus dem Sektor zurückzog.
Aktuell zieht die künstliche Intelligenz das Anlegerinteresse auf sich. Dieses Thema spielt auch in der Medikamentenentwicklung oder in der Medizintechnik eine immer zentralere Rolle. Weniger schlagzeilenträchtig, aber nicht weniger wichtig ist die Tatsache, dass der Gesundheitssektor eine immer grössere Innovationskraft entfaltet. Dies zeigt sich beispielsweise in der Medikamentenentwicklung. In den USA, dem nach wie vor wichtigsten Gesundheitsmarkt der Welt, wurden in diesem Jahr bis Anfang August bereits 29 neue Medikamente zugelassen. Die Chancen stehen also gut, dass auch 2023 – wie in den meisten Jahren – mehr als 40 Medikamente grünes Licht für den Markteintritt erhalten. Besonders vielversprechend ist die Entwicklung in den Bereichen Diabetes, Krebs sowie Alzheimer.
Zahl der Diabeteserkrankungen nimmt massiv zu
Die meisten neuen Therapieansätze richten sich gegen Volkskrankheiten, die weltweit auf dem Vormarsch sind. Diabetes stellt dabei angesichts explodierender Gesundheitskosten eine immense volkswirtschaftliche Herausforderung dar. Die Zahlen sprechen für sich: Weltweit gibt es 500 Millionen Diabetiker, nicht nur in den westlichen Industrienationen, sondern zunehmend auch in Schwellenländern wie China, Indien oder auch Saudi-Arabien, wo jeder Dritte erwachsene Saudi an Diabetes leidet. USD 1000 Mrd., das sind rund 10% der jährlichen Gesundheitsausgaben weltweit, werden für die Behandlung von Diabetes aufgewendet. Folgeerkrankungen wie Herzinfarkt, Schlaganfall, Nierenversagen oder Erblindung sind dabei noch gar nicht berücksichtigt. Alarmierend ist der Anstieg der wirtschaftlichen Belastung von über 300% in den letzten 15 Jahren. Der Markt für medizinische Messgeräte, die den Blutzuckerspiegel und die Insulinzufuhr immer genauer überwachen und regulieren, ist folglich riesig. Inzwischen sind Messgeräte in der Lage, über Sensoren in der Haut alle fünf Minuten Informationen zu übermitteln und daraus mithilfe von Algorithmen die Insulinmenge für die Insulinpumpe exakt zu berechnen. Aber auch neue Medikamente zur Behandlung von Diabetes und Übergewicht sorgen dafür, dass Diabetes immer besser behandelbar wird.
Insbesondere Fettleibigkeit ist eine der Hauptursachen für Diabetes. Während in den USA 1980 noch 13% der Bevölkerung einen Body-Mass-Index von über 30 aufwiesen, sind es 2020 bereits 42%. Auf der Medikamentenseite sehen wir derzeit eine sehr spannende Situation. Allen voran Novo Nordisk und Eli Lilly haben Medikamente entwickelt, die – vereinfacht gesagt – den Hunger unterdrücken und so eine Gewichtsreduktion von 15% bis 20% in wenigen Monaten ermöglichen. Das Marktpotenzial ist entsprechend gross – 2030 wird ein weltweiter Umsatz von USD 44 Mrd. erwartet.
Kampf gegen den Krebs wird intensiviert
Das zweite bedeutende globale Krankheitsfeld ist die Krebsmedizin. Weltweit gibt es 20 Millionen neue Krebsfälle pro Jahr. USD 200 Mrd. der Gesundheitskosten werden allein in den USA jährlich durch Krebs verursacht. An die Stelle der Chemotherapie treten neue Ansätze wie Antikörper, die den Tumor von zwei Seiten angreifen, oder Weiterentwicklungen von Immuntherapien, die das körpereigene Immunsystem aktivieren, die Tumorzellen anzugreifen und zu zerstören. Lungenkrebs und Darmkrebs sind die beiden Krebsarten, die weltweit aufgrund ungesunder Ernährung und des Rauchens zunehmen. Neben neuen Medikamenten kommen auch immer mehr diagnostische Verfahren zur Marktreife, die die Entstehung von Krebs frühzeitig erkennen.
Dynamik in der Alzheimerforschung
Die dritte grosse Herausforderung ist die Zunahme neurodegenerativer Erkrankungen als Folge der zunehmenden Alterung der Weltbevölkerung. Alzheimer, die mit Abstand häufigste Form der Demenz, ist hier an erster Stelle zu nennen. Nach jahrzehntelangen klinischen Fehlschlägen wurde mit Leqembi von Biogen/Eisai Anfang Juli ein Medikament zugelassen, das direkt in den Krankheitsverlauf eingreift und das Fortschreiten der Krankheit verlangsamt. So verzögert es das Fortschreiten der Demenz um drei Jahre und verlangsamt den kognitiven Abbau um 27%. Ein konkurrierendes Medikament von Eli Lilly wird derzeit ebenfalls geprüft. Diese ersten Etappensiege werden dazu führen, dass die weltweiten Investitionen in die Alzheimerforschung in den nächsten Jahren weiter steigen werden.
Gesundheit ist attraktiv bewertet
Vergleicht man die Bewertungen des MSCI World mit denen des Gesundheitssektors (MSCI World Healthcare), so fällt auf, dass die Kurs-Gewinn-Verhältnisse mit jeweils 17 in etwa gleich sind. Bezieht man das Gewinnwachstum mit ein, ändert sich das Bild zugunsten der Healthcare-Titel. Das Kurs-Gewinn-Wachstums-Verhältnis (PEG) von 1.9 für den Healthcare-Sektor ist deutlich attraktiver als das PEG von 2.6 für den Gesamtmarkt. Besonders günstig bewertet sind derzeit Biotechaktien mit einem KGV von 14 und einem PEG von 1.1. Anleger, die jetzt antizyklisch einsteigen, finden also historisch günstige Bewertungen vor. Dieses Renditepotenzial wird sich umso mehr entfalten, wenn der breite Markt aus Momentumgründen den Gesundheitssektor wieder entdeckt.